Der Krieg in der Ukraine und sein Beitrag zur Klimakatastrophe
Dr. Sibylle Brosius
Hallo zusammen!
Herzlichen Dank an das Friedensbündnis Mannheim für die Organisation dieser wichtigen
Veranstaltung und für die Möglichkeit, hier reden zu dürfen. Ich bin Sibylle Brosius,
promovierte Chemikerin. Seit der Nachrüstungsdebatte Anfang der 80iger Jahre bin ich bei
NatWiss e.V., Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit und jetzt auch bei S4F aktiv.
Beide Organisationen sehen es als ihre Aufgaben, wissenschaftliche Erkenntnisse in
gesellschaftliche Debatten einzubringen.
Da ich jetzt Dinge sage, die so in Mainstream-Medien nicht dargestellt werden, stelle ich
meinen Worten folgendes voran, um Missverständnissen vorzubeugen:
Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
bricht das Völkerrecht der staatlichen Souveränität der Ukraine. Er verursacht ungeheures
Leid bei allen Betroffenen. Alle, die vor ihm fliehen müssen, verdienen unseren Schutz. Er
birgt das ungeheure Risiko einer Eskalation zum 3. Weltkrieg, eines Atomwaffeneinsatzes
oder eines GAUs. Daraus folgt für mich, dass alles getan werden muss, um den Krieg
schnellstmöglich zu beenden. Das kann nur gelingen, wenn am Ende die
Sicherheitsinteressen aller berücksichtigt sind.
Ich bin nicht in der Lage, zu sagen wie es genau geschehen kann und was die Bedingungen
sind und werde deshalb keine solche Diskussion anfangen. Das ist die genuine Aufgabe für
Diplomatie und Politiker*innen.
Was ich als Wissenschaftlerin hier tun kann, ist Informationen zusammenzustellen. Darauf
basierend kann man informierte Entscheidungen treffen, anstatt aus dem Bauch heraus
Schnellschüsse zu starten. Mir ist schon aufgefallen, dass jeder eine Meinung zu dem Krieg
und seinen Lösungen hat. Sonst höre ich immer bei einer Diskussion über komplexe und
kontroverse Themen, dass jemand sich da nicht auskennt und deswegen sich keine Meinung
bilden kann. Aber hier – halten sich auf einmal alle für Experten.
Ich vermisse in den Mainstream – Medien fast immer eine nüchterne Betrachtung, die
Ungewissheiten und Fragen zulässt. Wenn man genau hinhört, werden wir regelmäßig auf
einen langen Krieg eingeschworen. Mit welchen Zielen?
Die westlichen Werte müssen verteidigt werden! Dabei wird hier immer vergessen, dass
die westlichen Werte für einen großen Teil der Welt eine ganz schlechte Bedeutung haben –
nämlich in allen ehemaligen Kolonialstaaten. Das ist auch eine Ursache, weshalb die
Mehrheit der Weltbevölkerung den Einmarsch Russlands in der Ukraine nicht verurteilt hat
bei der UNO-Abstimmung.
Die Ukraine muss gewinnen – wenn ich das höre, wird mir schlecht. Ich weiß, dass dann
praktisch alle (inklusive der Ukraine, gemeint sind die dort lebenden Menschen) verlieren
werden. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz wurde klar, dass China wird nicht zulassen
wird, dass Russland verliert – was ja der Fall wäre, wenn die Ukraine gewinnt. Diesen Sieg
zu fordern führt also direkt in einen 3.Weltkrieg.
Wir leben in einer globalisierten Welt. Es verlieren jetzt schon Menschen, die gar nicht direkt
betroffen sind, so führt das Stocken der Versorgung mit preiswertem Getreide im Nahen
Osten und Ostafrika sofort zu Hunger für die Ärmsten. Jetzt wird Putin angelastet, dass er
das als Kriegswaffe einsetzen würde. Aber wenn man sich die Zahlen zur Produktion und
Verfügbarkeit von Getreide ansieht, zeigt sich, dass es trotzdem zurzeit genügend Getreide
auf dem Weltmarkt gibt, nur ist die Spekulation an den Finanzmärkten sofort angesprungen
und erzeugt große Preisinstabilitäten. Und wenn man tatsächlich helfen will: ganz kurzfristig
kann man die Nutzung von Getreide als Bioethanol in Kraftstoffen verbieten.
Kommen wir aber zu dem Hauptproblem, dass uns alle trifft, früher oder später: die
fortschreitende Klimakatastrophe. Dazu folgendes:
Die Emissionen des Militärs wurden aufgrund starken Lobbydrucks bei den ganzen
Berechnungen im Pariser Klimaabkommen nicht mitgezählt. Dabei sind sie schon in
Friedenszeiten gigantisch. Allein das US-Militär hat geschätzt einen CO2-Fußabdruck größer
als Schweden, etwas kleiner als die Schweiz. Eine umfangreiche Studie der Scientists for
Global Responsibility von 2022 schätzt den globalen CO2-Fußabdruck des Militärs auf 5,5
%, damit wäre das Militär das viertgrößte Land der Erde nach China, USA und Indien. Und
jetzt soll noch massiv aufgerüstet werden!
Soviel zum Militär als solchem. Was passiert dann im Krieg? Der Krieg in der Ukraine ist in
dieser Hinsicht gut dokumentiert, z.T. auch, um Russland mit Schadensersatzforderungen
konfrontieren zu können. Ich möchte die Zahlen von für die ersten 7 Monate Krieg vorstellen,
erstellt von der Initiative on GlassHouseGas Accounting of War. Etwa die Hälfte der
Emissionen kommen von der zerstörten Infrastruktur (also was beim Wiederaufbau dann
emittiert wird), knapp ein Viertel sind die ausgelösten Feuer, 15% die Lecks der zerstörten
pipelines North stream 1 und 2 und schließlich knapp 10 % für die Kriegsführung selbst.
Insgesamt beträgt die Summe für 7 Monate Krieg knapp 100 Mio. t CO2 Äquivalente, das
entspricht knapp der Jahresemission von Belgien.
Wir müssen rasche Lösungen finden. Die Klimakatastrophe nimmt durch den Krieg und
die Aufrüstung gerade rasant an Fahrt auf und wird die Lebenschancen der jungen
Generation weiter zerstören. Alles, was derzeit von der Politik hier und überhaupt im Westen
gedacht wird, führt in die falsche Richtung. Wenn ich mich hier umsehe, sind es vor allem
meine Generation und noch Ältere, die sich hier versammelt haben. Warum? Man kann es
der jungen Generation nicht anlasten.
Gerade die jungen Menschen haben wenig Erfahrung mit Krieg, den älteren ist er von
Kind an sehr gegenwärtig gewesen. Meine Großmutter hat ihren ersten Mann im ersten
Weltkrieg verlorenen, den zweiten im zweiten. Sie wusste, was Krieg ist. Sie war eine
reflektierte und kommunikative Frau und so waren es meine ersten Lektionen in Sachen
Krieg. Ich habe auch noch die Zerstörungen in den Städten gesehen. Für mich lagen die
permanenten Kriegsdrohungen des kalten Krieges wie ein Schatten über meiner Jugend. In
der Diskussion um die Nachrüstung in den 80iger Jahren habe ich genauer erfahren, wie
kaltblütige militärische Strategien aussehen und angefangen, mich heftig zu wehren.
Deutschland wäre nach dem AirLandBattle-Konzept der US-Army ein Schlachtfeld of high
intensity warfare gewesen, atomar, biologisch, chemisch.
Für die nach 1985 Geborenen war in Deutschland dann jede Bedrohung durch einen Krieg
glücklicherweise weit weg und ich sehe es auch als einen großen Erfolg der
Friedensbewegung damals.
Aber jetzt müssen wir wieder über Krieg in allen seinen Facetten reden! Offen! Mit allen!
Über Generationen hinweg! Und in dem öffentlichen Diskurs darf man nicht Fakten
ausblenden, was leider mit immer schrilleren Tönen geschieht.
Dazu am Ende ein kurzer Werbeblock: NatWiss wird am 7. und 8. Juli eine
Vortragsveranstaltung in Mainz mit dem Thema Wissenschaft zwischen Krieg und
Frieden machen, anschließend eine eintägige Konferenz. Der Vortrag vom 7.7. wird auch
per Lifestream übertragen, unter www.natwiss.de abrufbar.
Vielen Dank!