Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer hier in Mannheim,
liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen
verkündet. Im Jahr 1950 wurde durch eine UN-Resolution der 10.
Dezember – also heute – zum internationalen Gedenktag ausgerufen.
Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International nehmen
diesen Tag jedes Jahr zum Anlass, die Menschenrechtssituation weltweit
kritisch zu betrachten und auf aktuelle Brennpunkte hinzuweisen.
Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und auch andere
Menschenrechte werden aktuell in vielen Ländern der Erde missachtet:
Im Jemen, in der Türkei, in Syrien, Iran, Saudi-Arabien, im Israel-
Palästina-Konflikt, in China, in vielen afrikanischen Ländern ebenso wie
in Lateinamerika und in Asien.
Auch in Europa werden im Mittelmeer, auf dem Balkan und an mehreren
Grenzen zur EU die Rechte von Menschen, die vor Not, Elend und Krieg
geflohen sind, mit Füßen getreten. In den USA ist in vielen Staaten die
Todesstrafe immer noch nicht abgeschafft.
Die Veranstalter haben mich gebeten, heute hier zum Thema „Ukraine
und Russland“ – und Konfliktlösungsmöglichkeiten zu sprechen.
Bevor ich damit beginne, möchte ich am heutigen Tag der
Menschenrechte eines der größten Menschenrechtsverbrechen der
Geschichte benennen:
Ende September 2021 erinnerte Bundespräsident Steinmeier in der
Ukraine an das Massaker von Babyn Jar vor damals 80 Jahren am 29.
und 30. September 1941, als im größten Einzelmassaker auf
europäischem Boden mehr als 33 000 Jüdinnen und Juden von
deutschen Nationalsozialisten und ihren Helfern erschossen wurden.
Die Gesamtzahl der Toten in der Ukraine während des 2. Weltkrieges
wird mit 8 Millionen angegeben, davon 5 Millionen Zivilisten,
einschließlich 1,6 Millionen Menschen jüdischen Glaubens.
Die Kämpfe spielten sich zwischen den regulären Truppen der Roten
Armee und der deutschen Wehrmacht sowie deren Verbündeten ab,
wobei auch Waffen-SS-Verbände und Partisanen einbezogen waren.
Der Generalplan Ost sah vor, in der Ukraine 20 Millionen Deutsche
anzusiedeln.
Nachdem vor Kurzem der Holodomor, der Hungertod von rund 3,5
Millionen Menschen in der Ukraine während der Stalin-Gewaltherrschaft
in den Jahren 1932 und 1933 als Völkermord vom deutschen Bundestag
anerkannt wurde, ohne dass in diesem Zusammenhang an die
Gräueltaten der deutschen Wehrmacht ein Jahrzehnt später erinnert
wurde, war und ist es mir ein Anliegen, mit dieser historischen
Ergänzung zum Bundestagsbeschluss zu beginnen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte vor einem Jahr bei der
Gedenkfeier für das Massaker Babyn Jar in der Ukraine:
„Die Verbrechen wirken nach“ und „Ohne ehrliche Erinnerung gibt es
keine gute Zukunft“.
Wie kann aktuell eine gute Zukunft für die Menschen in der Ukraine –
und weit darüber hinaus in allen Ländern, die davon direkt oder indirekt
betroffen sind aussehen?
Mut und auch einige Funken Hoffnung gibt mir ein aktueller Beitrag von
Professor Jeffrey Sachs, Berater von drei UNO-Generalsekretären und
derzeit Beauftragter von Generalsekretär Antonio Guterres für
Nachhaltigkeitsfragen.
In einem aktuellen Artikel vom 8. Dezember 2022 weist er auf die
Pressekonferenz von Joe Biden mit dem französischen Präsidenten
Emmanuel Macron Anfang Dezember 2022 hin, in der der US-Präsident
erklärte:
„Ich bin bereit, mit Herrn Putin zu sprechen, wenn er tatsächlich ein
Interesse daran hat, einen Weg zur Beendigung des Krieges zu finden.
Das hat er bisher nicht getan. Wenn das der Fall ist, bin ich in Absprache
mit meinen französischen und meinen Nato-Freunden offen dafür, mich
mit Putin zusammenzusetzen, um zu sehen, was er will, was ihm
vorschwebt.“
Der Sprecher von Präsident Wladimir Putin entgegnete, Russland sei zu
Verhandlungen bereit, die darauf abzielten, „unsere Interessen zu
wahren“.
Jetzt ist es an der Zeit für eine Vermittlung, die sich auf die
Kerninteressen und den Verhandlungsspielraum der drei
Hauptkonfliktparteien stützt:
Russland, der Ukraine und den Vereinigten Staaten.
Die ganze Welt könnte von einer Beendigung des Konflikts enorm
profitieren, da sowohl die nukleare Bedrohung, die heute über der Welt
schwebt, als auch die verheerenden wirtschaftlichen Folgen des Krieges
beseitigt würden, die vor allem die Länder des Südens mit großer Wucht
treffen.
Die Länder des Südens haben nicht wie Deutschland die Mittel für einen
„Doppelwumms“ von 200 Milliarden Euro zur Abfederung gestiegener
Energiepreise und einer galoppierenden Inflation.
Voraussetzungen für einen Waffenstillstand
Der wichtigste Punkt für eine Vermittlung ist anzuerkennen, dass alle
Parteien legitime Interessen haben und berechtigte Missstände zu
beklagen haben.
Diese sind u.a. nach Professor Jeffrey Sachs:
Russland hat zu Unrecht und gewaltsam in die Ukraine überfallen.
Die US-Regierung hat unrechtmäßig den Sturz Janukowitschs im Jahr
2014 gefördert und die Ukraine anschließend schwer bewaffnet,
während sie die Nato-Erweiterung vorantrieben, um Russland im
Schwarzen Meer einzukreisen. Die Annexion der Krim war ebenso
völkerrechtswidrig wie der Sturz des gewählten Präsidenten Vikor
Janukowitschs.
Nach dem Sturz Janukowitschs weigerten sich die ukrainischen
Präsidenten Petro Poroschenko und Wolodymyr Selenskyj, das Minsk-IIAbkommen
umzusetzen, das nach Berichten der OSZE auch von Seiten
der Separatisten mit Unterstützung Russlands verletzt wurde.
Ein Waffenstillstand hat eine Chance, wenn die US-Regierung von einer
weiteren Nato-Erweiterung in Richtung der russischen Grenzen Abstand
nimmt, Russland seine Streitkräfte aus der Ukraine abzieht und die
einseitige Annexion ukrainischen Territoriums rückgängig macht.
Die Anerkennung der souveränen Grenzen der Ukraine im Rahmen der
UN-Charta gilt es zu sichern – u.a. durch den UN-Sicherheitsrat und
andere Nationen.
Rückblick auf bisherige Versuche
Im März 2022, einen Monat nach der russischen Invasion, erzielten
Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Wolodymyr
Selenskyj wesentliche Fortschritte in Hinsicht auf eine pragmatische
Beendigung des Krieges durch Verhandlungen in Istanbul, die auf einer
Nichterweiterung der Nato, internationalen Garantien für die Souveränität
und Sicherheit der Ukraine und einer späteren friedlichen Lösung der
Probleme auf der Krim und im Donbass beruhte. Türkische Diplomaten
waren die Vermittler.
Doch dann beendete die Ukraine die Verhandlungen nach einem Besuch
von Boris Johnson in Kiew – offenbar auf Drängen Großbritanniens und
der USA . Die ukrainische Reigerung sollte Verhandlungen so lange
blockieren, bis durch neue westliche Waffenlieferungen Russland
militärisch geschwächt sei, so berichtete der britische Guardian.
Daraufhin eskalierte der Konflikt noch stärker als zuvor.
Wann begannen die ersten Hoffnungszeichen?
Bereits Mitte Mai 2022 zeichnete sich nach einem Grundsatzartikel in der
New York Times eine mögliche Wende der US-Politik bezüglich des
Ukraine-Krieges ab.
Die New York Times schrieb von „außerordentlichen Kosten und ernsten
Gefahren“ und verlangte von US-Präsident Joe Biden Antworten auf die
Frage: Wohin soll das alles führen?
Die Ziele der US-Regierung in der Ukraine seien angesichts eines
beabsichtigten 40-Milliarden US-Dollar schweren militärischen
Soforthilfeprogramms für die Ukraine immer schwieriger zu erkennen –
und mit enormen Gefahren für den Weltfrieden verbunden, ebenso mit
enormen weiteren Kosten für die USA.
Die New York Times schrieb: „Versuchen die Vereinigten Staaten
beispielsweise, zur Beendigung dieses Konflikts beizutragen – und zwar
durch eine Regelung, die eine souveräne Ukraine und eine Art von
Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und Russland ermöglicht?
Oder versuchen die Vereinigten Staaten jetzt, Russland dauerhaft zu
schwächen?
Hat sich das Ziel der Regierung darauf verlagert, Wladimir Putin zu
destabilisieren oder ihn zu stürzen? Beabsichtigen die Vereinigten
Staaten, Wladimir Putin als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu
ziehen?“.
US-Generalstabschef Mark Milley telefonierte Mitte Mai 2022 erstmals
seit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24.2.2022 mit seinem
russischen Amtskollegen Waleri Gerassimow.
In diesem Telefonat der beiden ranghöchsten Generäle beider Länder
sei es um „wichtige sicherheitsbezogene Themen“ gegangen, wie ein
Sprecher des US-Generalstabs erklärte.
Seither gab es als konkrete Schritte das Getreidabkommen aus
ukrainischen Häfen, mit dem Hungersnöte zumindest abgemildert
wurden, den Austausch von russischen und ukrainischen Kriegs-
Gefangenen, den Rückzug der russischen Truppen aus Cherson – und
vorgestern den Gefangenenaustausch zwischen einer USBasketballspielerin
und einem russischen Waffenhändler.
Wer könnte vermitteln?
Da sich nun sowohl die USA als auch Russland vorsichtig an den
Verhandlungstisch herantasten, ist es an der Zeit, zu vermitteln.
Zu den möglichen Vermittlern zählen die Vereinten Nationen mit dem
UN-Generalsekretär an der Spitze, die OSZE, die Türkei, China und
Papst Franziskus,
Die Konturen einer erfolgreichen Konfliktvermittlung sind absehbar,
ebenso wie die Grundlage für eine Friedensregelung.
Wie könnte unter all diesen bisher genannten Voraussetzungen
eine Deeskalation konkret aussehen?
Am 18. Mai 2022 legte die italienische Regierung zum ersten Mal einen
mit dem UN-Generalsekretär und den G7-Staaten abgestimmten
Friedensplan vor, der vier Stufen enthält, die aufeinander aufbauen.

  1. Waffenstillstand
    Dieser Waffenstillstand soll mit lokalen Kampfpausen beginnen, die von
    der OSZE oder den Vereinten Nationen überwacht werden. Ziel ist die
    Entmilitarisierung entlang der derzeitigen Frontlinie, wobei eine
    Pufferzone entstehen würde, die frei von Kämpfern beider
    Konfliktparteien ist.
  2. Neutralität der Ukraine
    Zeitlich nachgeordnet einem Waffenstillstand schlägt das italienische
    Außenministerium eine Friedenskonferenz zur Statusfrage der Ukraine
    vor. Sollte sich die ukrainische Regierung auf eine Neutralität des
    Landes einlassen, bräuchte sie Sicherheitsgarantien verschiedener
    anderer Staaten.
  3. Lösung territorialer Fragen
    Zeitlich wiederum nach einer Friedenskonferenz zur Frage der
    Neutralität der Ukraine schlägt die italienische Regierung bilaterale
    Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland vor, die von einer
    neutralen Institution wie der OSZE oder den Vereinten Nationen
    moderiert werden könnten.
    Inhaltlich würde es dabei um die Autonomie der Separatistengebiete bei
    Wahrung der territorialen Landesintegrität gehen. Konkret bräuchte es
    eine Regelung der sprachlichen und kulturellen Rechte sowie des freien
    Personen- und Dienstleistungsverkehrs.
  4. Europäischer Sicherheitspakt
    Als vierte und letzte Stufe des italienischen Friedensplanes ist ein
    Abkommen über Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa
    vorgesehen. Abrüstung, Rüstungskontrolle, Konfliktverhütung und
    Vertrauensbildung würden dabei auf der Tagesordnung stehen.
    Das Ziel des italienischen Friedensplanes ist der vollständige Rückzug
    der russischen Truppen aus der Ukraine und der Erhalt der territorialen
    Integrität der Ukraine.
    Die schrittweise Aufhebung von Sanktionen gegenüber Russland könnte
    in dem Maße erfolgen, wie die russischen Truppen den Boden der
    Ukraine verlassen.
    Eine Wiederaufbau-Geberkonferenz könnte der notleidenden
    Zivilbevölkerung Perspektiven geben und die notwendigen Finanzmittel
    zur Beseitigung der Kriegsschäden bereit stellen.
    Was können wir tun?
  • Kriegsdienstverweiger aus Russland, Ukraine, Belarus
    unterstützen
  • Friedensgruppen in Russland, Belarus und Ukraine unterstützen
  • Friedensorganisationen in Deutschland /Connection fördern
  • Geflüchtete aus der Ukraine unterstützen
  • Opfern in der Ukraine über Caritas International Hilfe zukommen
    lassen
    Zum Schluss möchte ich noch betonen, dass eine weitere Militarisierung
    aller Gesellschaften nicht vereinbar ist mit der Eindämmung der
    Klimakastrastrophe. Das weltweite Militär zählt zu den größen CO-2-
    Emittenten. Rüstung tötet daher auch ohne Krieg.
    Martin Luther King, Mitglied des US-Versöhnungsbundes, hat gesagt:
    „Dunkelheit kann nicht ausgetrieben werden durch Dunkelheit, nur das
    Licht kann das. Hass kann nicht ausgetrieben durch Hass, nur die Liebe
    kann das.“
    Clemens Ronnefeldt,
    Referent für Friedensfragen beim deutschen
    Zweig des internationalen Versöhnungsbundes
    A.-v.-Humboldt-Weg 8a
    85354 Freising
    Tel.: 08161-547015
    Fax: 08161-547016
    C.Ronnefeldt@t-online.de
    www.versoehnungsbund.de
    Spendenkonto für die Arbeit des
    Versöhnungsbund-Friedensreferates:
    Kontoinhaber: Versöhnungsbund e.V.
    IBAN DE40 4306 0967 0033 6655 00
    Stichwort: Friedensreferat/C. Ronnefeldt