Rede zum Tag der Menschenrechte (10.12.2023)
Mannheim E6, am Friedensengel


Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,
Liebhaberinnen und Verteidiger der Menschenrechte,
schön, dass Ihr da seid, heute, am Tag der Menschenrechte, an diesem
Geburtstag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die vor genau 75
Jahre von der UN-Generalversammlung verkündet wurde.
Es ist ein Tag des Gedenkens, aber kein Toten-Gedenken. Gedenktag, das hört
sich an wie die Erinnerung an etwas längst Vergangenes. Doch unser Gedenken,
das heißt: GEHT DENKEN! Macht Euch auf den Weg und schaltet das
Gehirn dabei nicht aus. Denn die Menschenrechte sind ein so wertvolles Gut,
gerade jetzt.
Gerade jetzt, wo wir auf eine Welt voller Hass und Gewalt blicken, wo der
Fleischwolf der Kriegsmaschinerie aus allen Ecken kriecht und das Antlitz der
Erde verdüstert. Gerade jetzt erinnern wir uns, dass es in Artikel 3 heißt: „Jede
und jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person.“
Dieses Menschenrecht wird heute mit Füßen getreten, wir alle wissen es und
hören es jeden Tag in den Nachrichten: in Russland und der Ukraine, in
Palästina und Israel und an vielen weiteren Orten dieser Erde. Davon will ich
nicht reden, sondern von Hoffnungszeichen, von Menschen als Trägern der
Hoffnung, dass alles auch noch anders werden kann. Ich sage Euch in all
diesem Wahnsinn und in dieser Betrübnis: man muss mit allem rechnen, auch
mit dem Guten!
Zu den Menschen, die Träger dieser Hoffnung werden, gehört Dr. Guy Shalev
von der Organisation Ärzte für Menschenrechte in Israel. Er beschreibt die
Organisation mit den Worten:“Uns alle eint die Überzeugung, dass jeder
Mensch ein Recht auf medizinische Hilfe hat, egal welcher Religion oder
Herkunft.“ Und so tourt er mit einer mobilen Klinik durch das ganze Land,
behandelt israelische Opfer des Terroranschlags und Opfer der brutalen Gewalt
israelischer Siedler und Soldaten an PalästinenserInnen.
Zu diesen Menschen gehören Rami Elhanan und Bassam Aramin, zwei von über
600 israelischen und palästinensischen Mitglieder der Organisation „Parents
Circle“; alle von ihnen haben in diesem Jahrzehnte dauernden Konflikt Kinder
durch die Gewalt verloren und sich dennoch nicht dem Hass hingegeben.
Rami: „Wir sagen immer, seid bitte nicht für Israelis oder für Palästinenser, seid
für den Frieden und gegen Ungerechtigkeit. Was wir gerade sehen, ist ein
Blutbad, eine Orgie der Unmenschlichkeit in all ihren übelsten Formen. Es
macht keinen Unterschied, ob ein Bewaffneter ein Baby enthauptet oder ein
Pilot eine Bombe auf eine Haus voller Zivilisten abwirft. Das Ergebnis ist
dasselbe.“
Und Bassam antwortet: „ Mein Bruder Rami hier sagt immer, wir sind
glücklicherweise Menschen, wir sind vernunftbegabt. Wir können uns
entscheiden, ob wir mehr Brücken oder mehr Gräber wollen. … Es ist immer
eine Zumutung, in deinem Feind auch Menschlichkeit und Würde zu
entdecken.“
Und zu diesen Menschen gehört Dr. Yurii Sheliazhenko von der ukrainischen
gewaltfreien Bewegung, dem wegen seiner Weigerung, die Waffen in die Hand
zu nehmen, eine Kooperation mit dem Feind vorgeworfen wird, der verhaftet
und zu 30 Tagen Nachtarrest verurteilt wurde. Er sagt uns: „Wir müssen das
Stereotyp des militärischen Sieges in Frage stellen. Wir können und müssen
nicht gewinnen, sondern eine Win-Win-Situation anstreben. Ich möchte, dass
ganz Europa mit einer Stimme sagt, dass Krieg das Problem und nicht die
Lösung ist. Lasst uns das Töten verweigern – und gemeinsam Frieden
schaffen.“
Das Töten verweigern – damit ehren wir Artikel 3 der Menschenrechts-
Erklärung, damit werden wir zu Verteidigern aller anderen Menschenrechte,
denn wer tot ist, kann keine Menschenrechte mehr in Anspruch nehmen.
15 Jahre nach der Verkündung der Menschenrechte, 1963, konnten wir eine
der berühmtesten und bewegendsten Reden hören. Martin Luther King, Pastor
und Bürgerrechtler, gewaltfreier Kämpfer gegen den Rassismus in der
amerikanischen Gesellschaft, sprach zu Hunderttausenden bei dem „Marsch auf
Washington“: „I have a dream ….
Ich habe einen Traum, dass auf den roten Hügeln Georgias die Söhne früherer
Sklaven und die Söhne früherer Sklavenhalter in der Lage sein werden,
gemeinsam an einem Tisch der Brüderlichkeit zu sitzen.“ Dieser Traum ist noch
nicht überall wahr geworden, aber er ist auch kein Traum vom
Wolkenkuckucksheim, sondern eine Kraft, die Hoffnung gibt, die motiviert und
uns nährt in dem langen Kampf um die Menschenrechte an jedem Ort und zu
jeder Zeit.
Und so habe auch ich einen Traum, dass auf den Hügeln von Galiläa und an
den Ufern des Jordan und in der kleinen Oase im Negev und in den
Orangenhainen von Jaffa eines Tages Töchter und Söhne von Israelis und von
Palästinenserinnen gemeinsam an einem Tisch der Geschwisterlichkeit sitzen.
Und dass auf den Kohlehalden im Donbass und an den Ufern des Schwarzen
Meeres, entlang des Dnipro und auf den Berggipfeln der Karpaten Söhne und
Töchter von Ukrainerinnen und Russen sich die Hände reichen, den Hass
begraben und das Kriegshandwerk nicht mehr lernen.
Dann wird Artikel 3 erfüllt. Aber bis dahin müssen wir streiten, ohne Waffen,
voller Mut und mit Durchhaltevermögen. Darum gedenken wir heute – und
morgen! Geht – denkt – und handelt! Geht in Frieden.


Klaus Waiditschka, Netzwerk Friedenssteuer